Texte zum Werk:
Dietrich Wildung, Gisela Burkamp, Jean-Christophe Ammann, Thomas Kellein, Martin Damus
Dietrich Wildung
Wesensverwandt
„Kunst ist nicht modern, sondern immer.“ Diese ungewöhnliche Äußerung des am 17. Mai in Berlin verstorbenen Malers und Bildhauers Johannes Grützke lässt sich auf das künstlerische Selbstverständnis des Staatlichen Museums Ägyptischer Kunst beziehen, inhaltlich identisch mit Maurizio Nannuccis ALL ART HAS BEEN CONTEMPORARY, das programmatisch am Anfang des Rundgangs durch das Museum steht. Sowohl die Einbettung des Ägyptischen Museums in das Kunstareal als auch die Öffnung des Museums und seines Vorfelds für die Präsentation moderner und zeitgenössischer Kunst unterstreichen, daß Johannes Grützkes „immer“ auch für Altägypten gilt.
Dass diese Öffnung des Ägyptischen Museums zur Moderne nicht immer auf Verständnis stößt, erleben wir an Reaktionen auf die Skulptur „Present Continuous“ des nierderländischen Künstlers Henk Visch, die auf dem Freigelände vor der HFF steht und ihren roten Gedankenstrahl hinunter sendet in die im Untergrund liegenden Räume des Museums.
Die ab Ende Juni inmitten der Dauerausstellung des Ägyptischen Museums stehenden Werke von Isolde Frepoli laden dazu ein, ägyptische Skulptur „ohne historischen Ballast“ (Thomas Mann) als nicht zeitgebundene künstlerische Form zu betrachten. Die in Savona an der ligurischen Riviera geborene, seit Jahrzehnten in Deutschland lebende und arbeitende Künstlerin. Meisterschülerin der Münchner Akademie der Künste, hat bei der Arbeit an ihren Statuen und Büsten nie das alte Ägypten vor Augen; und doch treten die Analogien zwischen ihren rundplastischen Bildnissen und den Statuen Ägyptens im unmittelbaren Neben- und Miteinander der Präsentation im Museum unmittelbar in Erscheinung. Für Altägypten und die Moderne ist diese Begegnung gleichermaßen aufschlussreich.
Die oft nackten Frauenfiguren von Isolde Frepoli schaffen um sich einen Raum der Unberührbarkeit. Der virtuelle, unsichtbare Raum, in den diese Statuen gestellt sind, ist ein Spezifikum der altägyptischen Plastiken. Im Münchner Ägyptischen Museum macht die Präsentation der antiken Skulpturen in großen, weiten Vitrinen mit deutlich sichtbaren Kanten und auf kubischen Sockeln diese Raumhaltigkeit der Figuren erlebbar. Bei ägyptischen Statuen ist der Raum, in den sie gestellt sind, ein wesentliches Bildmotiv, das sich im Rückenpfeiler und der rechteckigen Basis artikuliert. Auch Isolde Frepolis Figuren stehen auf rechteckigen Basisplatten und beziehen aus ihnen ihre Monumentalität. Weder die griechische noch die römische Skulptur kennt diese Thematisierung des Raumes, und sie findet sich in der abendländischen Kunst konsequent angewendet erst im 20. Jahrhundert – in den Skulpturen Alberto Giacomettis, des „ägyptischsten“ Künstlers der Moderne, und in den Gemälden von Francis Bacon.
Die Verortung der Statuen von Isolde Frepoli in einem unsichtbaren Kubus verleiht ihnen neben einer ausgeprägten Monumentalität eine strenge Frontalität. Der Betrachter wird unwillkürlich in eine Sichtachse gezogen, die vom Blick der Figur vorgegeben ist. Wie vor einer ägyptischen Statue wird der Betrachter zum Betrachteten, fühlt sich beobachtet, kann sich den auf ihn gerichteten Augen nicht entziehen. Die Intensität des dadurch entstehenden Zwiegesprächs zwischen Kunstwerk und Betrachter hebt die zeitliche Distanz zwischen Altägypten und heute auf, macht den Dialog zeitlos; die Skulpturen Isolde Frepolis und der altägyptischen Bildhauer begegnen sich in jenem überzeitlichen „immer“, das Johannes Grützke formuliert hat.
Dass Frepolis Statuen individuelle Personen darstellen, ist ein weiterer Bezugspunkt zur Plastik der Ägypter. Sei es in der Gestaltung der Gesichter oder in den hieroglyphischen Namensaufschriften – ägyptische Statuen stellen Individuen dar. Die von Isolde Frepoli Porträtierten sind einerseits in ihrer strengen Haltung der Beliebigkeit des Augenblicks entzogen, andererseits in der Ausprägung ihrer Gesichter höchst gegenwärtig. Trotz dieser individualisierenden Note sind diese Figuren nicht realistisch. Ihre überschlanken Körper schaffen ein eigenständiges starkes Frauenbild – modern und klassisch zugleich. Diese Spannung zwischen Idealisierung und Individualität ist auch in der ägyptischen Plastik die Grundlage einer über mehr als drei Jahrtausende währenden Lebendigkeit künstlerischen Schaffens.
Ob wohl sich die Künstlerin in diesen Gedanken des Ägyptologen wiedererkennt?
Dietrich Wildung, Aus: Maat 2017
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Gisela Burkamp
Ganz bei sich
Von Rodin ist uns durch Rilke die Auffassung überliefert, dass für ihn „der Körper aus den Schauplätzen des Lebens“ besteht, dass er sogar „den Teilkörper als Gestalteinheit“ nicht nur akzeptierte, sondern gerade im infinito Vollendung eingefangen und wiedergegeben sah, je nach angestrebtem Resultat. In diesem Sinne „unvollendet“ begegnen uns die Bildnisse von Isolde Frepoli. „Schauplätze des Lebens“ auch sie, nun in einer ganz anderen, individuellen formalen Gestaltung von Personen, die trotz ihrer herausfordernden, aufgesockelten Präsenz und Gegenwärtigkeit in einem undurchdriglichen Bannkreis versunken scheinen.
Man darf vor diesen Arbeiten wohl grundsätzlich davon ausgehen, dass Isolde Frepoli sich für Menschen begeistern kann – für Frauen, Männer, Kinder, Weiße, Schwarze, für ihre Besonderheit, Einzigartigkeit und sehr subjektiv gesehene Schönheit. Sie macht in ihrer Zuneigung keinen Unterschied, aber sie definiert den Unterschied. Dass nämlich trotz der unverkennbaren Handschrift der Künstlerin kein Bildnis dem anderen gleicht, liegt im Beobachten und Aufspüren der einzelnen Persönlichkeiten und – das ist die große Kunst Frepolis – in der daraus resultierenden formalen Akzentuierung der Charakteristischen Details.
Dabei hat die Künstlerin sich entschieden, nur von wenigen Ausnahmen abgesehen, konsequent auf die „Sprache“ der Gliedmaßen zu verzichten, auf differenzierende Gestik und Haltung, auch auf die Unterstützung expressiven mimischen Ausdrucks von Emotionen und seelischen Gestimmtheiten. Ihre Rundplastiken sind Torsi, reduziert auf Kopf, Schulter und/oder Oberkörper,der je nach von ihr bestimmter Notwendigkeit knapp über oder unter der Taille endet „Das Fragmentarische ist eine Folge der Treue zur Inspiration. Wo sie aufhört, ist auch das Werk zu stoppen“, argumentierte Paul Klee.
Diese bewusste und in der jüngeren Kunstgeschihte nicht selten getroffene formale Entscheidung setzt diese Plastiken ab etwa von einer Venus von Milo, deren Gliedmaßen vom gewaltsamen Eingriff der Zeit amputiert wurden, ohne allerdings das Ideal vollkommener Schönheit zu beeinträchtigen, beziehungsweise unsere Vorstellung von einem Ideal unter ganz falschen Voraussetzungen zu schaffen. Für Frepolis Figuren bedeutet die Reduktion kein Verlust, sondern den Verzicht auf formale Umwege, um zur Kernaussage im Wortsinn vorzudringen.
Die auf das notwendigste konzentrierte Körperlichkeit sekundiert in tragender Funktion dem Kopf, dem höchst eigenwillig und prononciert als Gefäß des Ichs bestimmten Träger von menschlicher Existenz. Frepoli setzt ihre Büsten streng en face, was ihnen einen gewissen Stolz und Unnahbarkeit verleiht, Kühle und Fremde wohl auch zunächst. Wären da nicht die Spuren des Materials, die Farben, ja, und trotz des wie ins Nichts-Schauens, die Augen.
Isolde Frepoli arbeitet mit Ton, mit einem archaischen Material also, das die Menschen früh gestaltet und genutzt haben, das Geschichte in sich trägt, das Zeit spiegelt, das sich in seiner gefügigen Konsistenz den Händen anbietet. Aber ob ungebrannt oder gebrannt, Ton ist auch ein dinghaftes Äquivalent für die Fragilität von Existenz, von Spannung bis zum Zerreißen, von Durchlässigkeit für äußere Einflüsse. Es bedarf höchster Konzentration und Selbstkontrolle und natürlich ausgeprägter Materialkenntnis, um im Umgang mit diesem so trügerisch einfachen Werkstoff den eigenen Bauplan umzusetzen. Bei manchen Büsten macht Frepoli das innere Gerüst einsichtig, während sie im übrigen auf deutliche Spuren der formenden Hand verzichtet, um nicht von den Spuren der jeweiligen Person abzulenken.
Das sind zum Beispiel Schmuckstücke unterschiedlichster Art, die Andeutungen von Kleidung mit Ausschnitten, Kragen, Trägern oder die Haartrachten, die das Antlitz umrahmen und prägen. Frepoli hat hier nicht nur ein sehr altes Material eingesetzt. Sie scheint in ihren Arbeiten auch anzuknüpfen an Bildnisse aus dem vorchristlichen Griechenland, an die „jungen Mädchen“ (Koren) und weiblichen Stützfiguren (Karyatiden), wie Funde aus Delphi und Athen nahe legen. Auch ein Sphinxkopf aus Theben, eine der um 540 v.Chr. entstandenen Tanagra-Figuren, ist erhalten, deren Farbigkeit sogar die Jahrhunderte überdauert hat. Trotz der detaillierten Hinweise auf Kleidung und Frisur wird der Unterschied zwischen maskenhafter Zeitlosigkeit dort und einer „lebendigen“ Momentaufnahme bei Frepoli evident.
Die plastischen Zeitgenossen Frepolis sind ganz heutige, keine Typen, sondern Individuen ohne Funktion, und gerade letzteres ist entscheidend. Ihre Physiognomien sind unverwechselbar ausgeprägt, obwohl nicht immer in langen Modellsitzungen entstanden, sondern in der Erinnerung bewahrt, gezeichnet zuweilen, nur ausnahmsweise durch Fotografien unterstützt wiedergegeben. Trotz des Eindrucks einer von Zeit und Vergänglichkeit unabhängigen Makellosigkeit handelt es sich bei diesen Antlitzen eben nicht um virtuelle Manipulationen aus dem „second life“, sonder n um die Ausformung von Einzigartigkeit. Was sie so entrückt wie anziehend erscheinen lässt, sind die bereits erwähnten und so dominant wirkenden Augen. Sie sehen an der Künstlerin, die sie in Farben und Form moduliert hat, vorbei. Sie verweigern sich dem Blickkontakt mit dem Betrachter. Sie schauen nach außen ins Innen.
Die Distanz zum Sujet, die für den Arbeitsprozess notwendige Objektivität vor dem Subjekt weiß Isolde Frepoli bei aller Hingabe an das gestalterische Tun sehr wohl zu wahren. Darum meidet sie das direkte Auge in Auge und schenkt ihren Figuren jenen imaginären Schutzraum, der den Betrachter von jedem Voyeurismus fernhält. Das hindert ihn nicht, die äußerlichen Details der Personifikation zu erkunden, die Frepoli anbietet und die sie in ihrer vermeintlichen Unscheinbarkeit gleichsam erhöht hat. Es sind keine Attribute, die Beruf oder Stand verraten wie auf den Porträts der Kunstgeschichte und von den Auftraggeber eingefordert, sondern es sind die oft rührend nebensächlichen Accessoires, die in ihrer Unwichtigkeit Versatzstücke von Individualität, von Charakterzeichnung geworden sind. Diese fast erzählende Form gelingt Frepoli besonders bei den Bildnissen von dunkelhäutigen Menschen, die in aller Selbstverständlichkeit als singuläre Persönlichkeiten wahrgenommen werden, ein Eindruck, der vielleicht deshalb so zwingend ist, weil fremde Kulturkreise und Ethnien sich unserem Blick und Verständnis nur schwer erschließen.
Die Intensität der Ausstrahlung, die den Betrachter vor den Arbeiten gefangen nimmt, rührt zweifellos auch von der Farbigkeit, die – wie die individuelle Physiognomie – den Eindruck zwischen lebendigem Abbild und künstlerischer Projektion mit ästhetisch ausgeprägtem Eigen-Sinn wechseln lässt. Erinnern Statur und Torso in Frepolis Arbeiten an das Figurenbild, das wir uns heute von antiken Skulpturen machen, so bleibt es natürlich vollends hypothetisch, deren verlorene Farbigkeit mit diesen matt leuchteneden Figuren in ihrer porzellanen Empfindlichkeit zu vergleichen.
Frepoli arbeitet mit Engoben, einem tradierten Verfahren, das sie überzeugend eigenständig zu nutzen weiß. Es setzt nicht nur Wissen, sondern immer auch die Bereitschaft zum Risiko voraus. Als letzte Schicht wird ein Überzug aus mit beispielsweise Metalloxyden gefärbten Tonschlamm vor dem Brennen auf die endgültige Ton-Fassung aufgetragen. Dabei ist die gewollte Farbe noch nicht erkennbar. Die Künstlerin weiß um den Wandlungsprozess während des Brennens, muss aber immer wieder das Wagnis eingehen, dass die chemische Realität der künstlerischen Entscheidung zuwider laufen kann. Die personentypischen Variablen in der Oberfläche von Haut, Kleidung oder Physiognomie sind zuvor nicht wie bei Stein- oder Holzskulpturen herausgeschnitten, sondern als erhabene Strukturen geformt und aufgetragen worden.
Die Farbe unterstreicht in ihrer rauen Sprödigkeit die eindrucksvolle Sensibilität der materialbewussten Gestaltungskraft der Künstlerin, die im übrigen auch bei ihren wenigen Ganzfiguren ihre entschiedene formale Auffassung beibehält. Kein klassischer Kontrapost, keine Variante zum bewegten Ausdruck von Stand- und Spielbein, sondern eine Position,wie man sie ebenfalls von archaischen Darstellungen kennt, mit paralleler Fußstellung. Das lebensgroße Gegenüber aus getöntem Zement ist ein Bild für das selbstbewusste „mit beiden Beinen auf der Erde stehen“, das wiederum vom Kopf ausgeht, der auch hier – bei aller ganzheitlichen, körperlichen Präsenz – individuelles Zentrum ist.
Wann und wo immer Isolde Frepoli ihre Terrakotta-Bildnisse zeigt, verändert sie Räume, und jede Konfrontation nimmt ganz direkt Einfluss auf das betrachtende Gegenüber. Diese figurativen Bildnisse behaupten ihren Ort in aller Dreidimensionalität und Personalität, und man entzieht sich der Begegnung nicht durch höfliche Ausflüchte. Sie bestimmen den Ton der „Konversation“. Sie fordern Respekt ein vor der Unantastbarkeit ihrer Existenz und sind gleichzeitig in ihrer vertrauten, alltäglichen Gegenwärtigkeit so offen für alle Versuche von Kommunikation.
Als Gäste auf Zeit hat sich eine Gruppe von Frauen, Männern und Kindern – weißhäutig, dunkelhäutig – in der ehemaligen Synagoge des Kunstvereins Oerlighausen niedergelassen. Unter dem über hundert Jahre alten hohen Tonnengewölbe können sie den Kopf hochtragen, ganz bei sich, ohne je hochmütig zu wirken. Sie sind nicht eigens für diesen Ort und seine ganz besondere kulturelle und historische Bedeutung geschaffen worden. Aber sie stehen wie selbstverständlich dort zwischen heute und gestern, Zeitgenossen in einem umfassenden Sinn, der die Würde des Menschen ins Zentrum rückt.
Gisela Burkamp, Aus: Isolde Frepoli Bildnisse 2008, Kerber ART (ISBN
978–3‑86678–183‑2)
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Jean-Christophe Ammann
Isolde Frepoli
Wie gehen wir mit einer Kunst um, die keinen Fortschritt zeigt? Tritt sie am Ort? Es gilt die Regel, dass die stilistisch-formale Entwicklung eines Künstlers Gradmesser seiner Kreativität ist. Was ist, wenn eine Bildhauerin seit über zwei Jahrzehnten über die Schönheit eines Antlitzes oder eines weiblichen Körpers nachdenkt? Es gibt Staunen und „Staunen“. Die einen staunen über die sich verändernde Welt, die anderen über das, was sich nicht verändert. Letztlich bleibt der Mensch, was er ist.
Isolde Frepoli schaut. Als Frau ist sie sich selbst und Frauen nahe. Sie schaut, wie eine Frau steht. Tatsache ist, dass der Körper schaut: aufmerksam geerdet. Im Antlitz schwingt der Körper mit. Die verhaltene Erotik ihrer Skulpturen gründet in der Faszination der Schönheit. Schönheit in all ihren Schattierungen, von Authentizität und Sinnlichkeit. Es gibt bei Isolde Frepoli keine ideale Schönheit. Wir begegnen Individuen. Herbe, durchtrainierte Körper, selbstbewusst in Ausdruck und Haltung.
Wer weiß heute noch, wie man skulptural einen Körper gestaltet? Es gab Zeiten, da kannte die Virtuosität keine Grenzen. Aber nicht das Individuum stand im Vordergrund, sondern die übergeordnete Idee: eine historisch, allegorisch, symbolisch begründete Begrifflichkeit.
Isolde Frepoli holt die Erfahrung der Vergangenheit in die Gegenwart. Ihre Figuren und Gesichter könnten Namen tragen, weil sie gegenwärtig sind. Jedoch brauchen sie ein Umfeld: einen Ort. Sie brauchen einen Ort-der-Erscheinung! Ob wir uns immer bewusst sind, wie viele Skulpturen aus der Vergangenheit in einen ortsspezifischen Zusammenhang eingebettet waren? Dort entwickelten sie eine Aura, gewissermaßen einen Resonanzraum, den sie heute nur noch auf qualitativer Ebene besitzen. Manchmal, in einem Museum, denke ich über die Einsamkeit von Skulpturen nach. Über Skulpturen aus dem Mittelalter oder der griechischrömischen Zeit. Sie stehen da wie auf einer Party, im schlimmsten Fall, wie bestellt und nicht abgeholt. In meiner Vorstellung schaffe ich ihnen einen Umraum, verweile in der Anschauung oder in der Plötzlichkeit des Sehens.
Manchmal denke ich, dass die Skulpturen von Isolde Frepoli unter der Ortlosigkeit darben. Sie finden in ihrer Intimität kein Refugium. Aber gerade in dieser Hinsicht ist die Künstlerin ihrer Zeit voraus. Denn der Wunsch ihrer Skulpturen nach einer Einbindung ist auch jener, der heute Menschen bewegt, sich im Bild des Menschen zu begegnen, der Beliebigkeit und Verschiebbarkeit von Orten Einhalt zu gebieten. Wie stark können ihre Skulpturen wirken, wie beiläufig können sie wahrgenommen werden.
Dort, wo sich die Bücher befinden, steht seit einigen Jahren die Büste einer „Nubierin“, 1990 entstanden. Seit sie dort steht, auf einem Tisch, hat der Raum einen Schwerpunkt. Das leicht erhobene Haupt dieser wunderschönen Frau strahlt eine Kraft aus, die macht, dass ich immer wieder vor ihr stehen bleibe. Dieses Antlitz ist stärker als das Licht des Morgens, des Mittags oder des Abends. Mit anderen Worten: Auch unter veränderten Lichtbedingungen erlebe ich es jedes mal als einen starken, sinnlichen Moment. Es ist so gegenwärtig, dieses Antlitz, so zeitlos, fragend, staunend, entrückt. – Danke Isolde.
Jean-Christophe Ammann, 5. Januar 2006
Aus: Isolde Frepoli Bildnisse 2008, Kerber ART (ISBN 978–3‑86678–183‑2)
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Thomas Kellein
Ausstellungseröffnung im ZIF, 29.10.2006
Meine Damen und Herren,
Zu Anfang ein paar Lebensdaten zu unserer Künstlerin: Geboren ist sie 1961 im italienischen Savona, ab 1983 war sie Studentin der Kunstakademie München, seit 1993 lebt sie in Schlangen im Kreis Lippe, also ganz in unserer Nähe. Die letzte größere Ausstellung mit Katalog fand 2000 im Lippischen Landesmuseum in Detmold statt. Rainer Springhorn schrieb damals zu ganz ähnlichen Terrakotta Skulpturen von einem „Gefühl sehnsuchtvoller Entrückung“, von „entspannter Mimik“, und betonte den „ in die Ferne gerichteten Blicken aller Figuren“. Martin Damus wies auf die Vorliebe der Künstlerin für außereuropäische Kulturen und Ethnien hin. Ich erwähne das, weil es bei Frepoli auch eine größere Zahl von Büsten gibt, die verschiedene Hautfarben, Physiognomien, Gesichtsbemalungen und den Haar-und Halsschmuck von Menschen verschiedener Kontinente herausarbeiten. Diese sind heute nicht ausgestellt.
1999 haben wir Isolde Frepolis Werk in der Kunsthalle Bielefeld gezeigt. Es ging damals in einer Gruppenausstellung um neun andere Künstlerpersönlichkeiten der Region, die jeweils ein Œuvre aufzuweisen hatte. Isolde Frepoli arbeitet mit einer besonders alten Thechnik, mit farbiger Erde, die mit einem Tonguss, den sog. Engoben, vollendet wird. Die Angelsachsen nennen die Technik “Earthenware“, wobei das mit „Steingut“ übersetzt wird. Bei uns würde man bei „Earthenware“ an gebrannte Ziegeln denken. Frepolis Technik besteht aber nicht aus der Herstellung von Ziegeln, es geht vielmehr um die natürliche Farbigkeit, um die leichte, direkte Formbarkeit und die Erdnähe des Materials. Sie kennen den Ausdruck „Sein-Erde“, den ich hier kurz benenne, um die italienische Herkunft der Künstlerin und ihre offenkundige Liebe zur Renaissance zu betonen. Es ist nicht nur die Technik, es ist insbesondere die Bildform der klassischen Büste, die von Isolde Frepoli als Kunstform seit der Antike auf Menschen von heute übertragen wird.
Frepoli bildet Menschen ab, die ihr eine Zeitlang Modell gesessen haben. Danach arbeitet sie alleine weiter, modelliert den Ton auf dem Gerüst, das man auf dem Sockel sieht, bis zu einem Resultat, bei dem es sich um eine ganz alte Form des Bildnisses handelt. In dieser Kunst steckt von der handwerklichen und kunstgeschichtlichen Dimension her etwas Rituelles. Ich behaupte einmal, dass Bildnisse dieser Art zu den ältesten Kunstformen überhaupt gehören. Bereits in den alten ägyptischen Kulturen, seit dem dritten Jahrtausend vor Christus, ist die Abformung des Antlitzes zur Verewigung des menschlichen Äußeren eine ganz und gar verbreitete, zu uns über das Mittelmeer überbrachte Tradition. Die griechische und die römische Plastik ist ohne das Bildnis überhaupt nicht vorstellbar. Der Staat brauchte seine zahlreichen Porträtstatuen und Büsten nicht nur zum Ruhm, er verstand sie als Selbsterhaltung. Es ging in den Gebäuden und auf den Plätzen der Antike um die leibhaftige Ansicht aller geistigen Stützen und um die ständige Erinnerung an sie.
Seit der frühmittelalterlichen Grabplastik gehört das Bewahren von Antlitzen der Könige und Fürsten auch in die christliche Bildtradition. Wie erinnern uns parallel dazu an die mittelalterliche Suche und Zurschaustellung des Schweißtuches der Veronika. Die Idee, Christus einmal in einem echten, wenngleich ephemeren Antlitz zu erkennen, manifestierte sich über die Jahrhunderte vor allem in sehr hochwertigen künstlerischen Versuchen, die ideale Physiognomie unseres Gottessohnes herauszuarbeiten. Das alles geschah, um Christus selbst außerhalb von Gebeten in Gotteshäusern nach Möglichkeit visuell erlebbar zu machen. Während Juden und Moslems aus religiösen Gründen vermeiden, sich ein Bildnis zu machen, haben in Europa zuerst die Renaissance, dann zum Beispiel Madame Tussaud und schließlich die Fotografie darauf hingearbeitet, dem Bildnis ein immer stärkeres Maß an Vollendung zukommen zu lassen. Die Künstlerische Techniken mit der Camera obscura, mit Wachs oder mit Silbergelatine haben in diesem Sinn wie die Schrift unser gesamtes Vorstellungsvermögen geprägt. Es geht beim Bildnis nicht einfach um Ähnlichkeit, um das „Treffen“ einer Physiognomie und eines Charakters. Wir Europäer haben das Bildnis immer weiter zu einer exzellente Kunstform getrieben, weil wir, um Georg Simmel aus einem Buch kurz nach dem Ersten Weltkrieg zu zitieren, an „die Vorstellung einer Seele“ glauben, die sich an den dargestellten Formen der Oberfläche ablesen lässt. Das ideale Porträt, insbesondere das Renaissance-Bildnis, verkündet uns anhand des Individuums eine leidenschaftliche Auffassung von Einheit, die der Künstler und der Dargestellte teilen.
Technisch und künstlerisch ist in unserer Kultur kaum etwas stärker geläufig, als ein menschliches Individuum, das zwei- oder dreidimensional, jedenfalls täuschend ähnlich, mit seinen kulturellen Requisiten und in einem authentischen Umfeld als etwas unvergleichliches erlebt werden kann. Das Porträt erfüllt dabei nicht nur eine ungemein hohe Dienstleistung für die Angehörigen, die Historiker, die Mediziner oder von mir aus auch die Kriminalisten, es wird seit Jahrhunderten als eine der höchsten Kunstformen anerkannt. Es gibt ein inzwischen populäres Buch von Martin Warnke mit dem Titel „Hofkünstler“, in dem überzeugend behauptet wird, dass sich die Künstlerschaft, wie wir sie heute kennen, Warnke nennt Namen wie Dürer, Tizian, und Velasquez, gerade durch die Porträtkunst international als hoffähig etabliert hat. Es waren die Kaiserbildnisse, die den Durchbruch des künstlerischen Standes, der seit eh und je zu den Handwerkern gehörte, zur Folge hatten. Karl V. warf Tizian den Fehdehandschuh hin, und dieser hob ihn auf – das ist eine historisch bis dahin ungeheuerliche Anmaßung, die den Künstler nicht nur geistig, sondern auch materiell in die Nähe des Adel rücken liess. Schon gut einhundert Jahre später, als Lorenzo Bernini von Louis XIV. nach Paris eingeladen wurde, gab es für Künstler die herausragende Arbeit leisteten, riesige Empfänge, fürstliche Geschenke und Leibrenten, die in unserer Zeit diskutiert werden würden wie die Gehälter unserer meistgehassten Manager.
Bis in das späte 19. Jahrhundert galt das Porträt eindeutig als exempla virtutis, als beispielhafte Darstellung eines Individuums, in der sich etwas heldenhaftes manifestiert. Es waren nicht nur erinnerungssuchende, die sich mit einem derartigen Antlitz beschäftigen. Alle sollte erfahren, wer und was sich hinter einem solchen Gesicht verbarg. Die technisch vollendetste und jüngste Porträtkunst ist heute der Film. Denken wir dabei nicht allein an die filmischen Porträts, die Künstler vom Range Picassos den Menschen näher bringen. Es sind alle Filme, nicht nur Verfilmungen von Literatur, in denen die Hauptdarsteller haptisch wirken, um zu uns als Helden zu sprechen und uns zu zeigen wie wir handeln sollten.
Je mehr ich mich mit dem ganzen Komplex der Porträtplastik und Porträtmalerei beschäftigte, desto weniger scheint mir Isolde Frepoli in einer zeitgenössischen Porträttradition zu stehen. Ihre Büsten auf den immer gleichen braunen Holzsockeln zeigen Köpfe, deren Kinn leicht nach oben und deren Augenpaar relativ starr geradeaus gerichtet ist. Nichts Äußeres scheint diese Köpfe abzulenken. Die Kinder spielen nicht, die Frauen schauen nicht, die Männer lachen oder weinen nicht. Es geht jedoch von allen Dargestellten eine gewisse Feierlichkeit aus. Das hat zunächst seinen Grund darin, dass es weder Halb- noch Dreiviertelprofile, sondern durchweg Spiegelporträts mit einer relativ unbewegten Gesichtsoberfläche gibt. Durch die helle Haut, oftmals ist sie weiß, und durch den farbigen Haarschmuck wirken die Porträts selbst bei Physiognomien von Schwarzen grundsätzlich hell. Es gibt keinen kompositorischen Anlass, in den Dargestellten jeweils etwas grüblerisches, etwas Dunkles oder etwas Melancholisches zu sehen. Das Melancholische offenbart sich höchstens in der Wiederholung, in einem Verzicht auf ein Drama, das Ort oder Zeit erkennen ließe.
Frepoli porträtiert im Grunde alle Wesen gleich. Ein Kind wie der „Buddha“ erscheint ähnlich maskenhaft wie eine alte Dame oder ein feiner Herr. Es gibt trotz der Technik und der Farbe keine ganz ausdrückliche Erd- und keine Himmelsbezogenheit. Es gibt keinen Impressionismus und keinen Expressionismus im Mienenspiel. Frepolis Porträtwelt erscheint stattdessen als eine klare Sammlung. Die Menschen, die sie darstellt, sprechen nicht zu uns, und sie sprechen auch nicht miteinander. Die Köpfe stehen stattdessen als Sammlung von Dargestellten auf ihren Sockeln mit den Gerüsten aus Ton. Ich habe mir überlegt, dass diese Personen womöglich Diener der Werte der Künstlerin sind. Sie sind, wie man das angesichts der griechischen und römische Plastik sagen kann, „Rangporträts“ und in einem finalen Sinn „Endporträts“. Wer sich von Isolde Frepoli abbilden lässt, kann sich aufgrund ihrer statischen Bildauffassung nicht mehr, wie wir das als unsere „Selbstverwirklichung“ erträumen, großartig entwickeln. Es geht überhaupt nicht darum, dass wir womöglich älter, faltiger, kantiger oder hässlicher werden oder es bereits sind. Es geht nicht um unser Liebesleben oder unseren Alkoholkonsum. Weder unsere Partnerschaft, noch unsere Ängste, noch Sorgen stehen auf dem Programm. Mann und Frau werden bei ihr eigentlich immer zur Statue. Ich habe ein Zitat zu dieser Arbeit entdeckt:
„Mit feierlicher Klarheit und Stille treten sie vor geistlich-weltliche Ordnungen, die dem Menschen jenseits der schwankenden Sinnen- und Seelenwelt seinen Rang, seinen Wert zu teilen.“
Dieses Zitat stammt jedoch aus einem Buch von Ernst Buschor über „Das Portrait. Bildniswege und Bildnissstufen in fünf Jahrtausenden“, München 1960, S. 144. Es bezieht sich auf ein spät griechisches Gruppenportrait auf Glas, dass die drei Mitglieder einer Familie anhand verschiedener Gewänder und Schmuckstücke an Hals und Ohren kenntlich macht. Frepoli ist eine Künstlerin die mit ihrer außergewöhnlichen Kunst so etwas wie eine persönliche Ordo beschwört. Das ist heute, seit 1993 ist sie unter uns tätig, einerseits einzigartig. Andererseits denken sie zum Beispiel an die Portraitfotografien von Thomas Ruff, an die vielen rituellen Formen von Kunst um uns heute, beispielsweise On Kawara, der Tagesdaten aufschreibt, oder an die international gängige Praxis, über Jahre hinweg ganze Bildzyklen zu erschaffen, dann steht die allgemeine Ordnungssuche von Künstlern heute im Vordergrund.
Zu Frepolis Ordo gehört, dass die dargestellten Köpfe von ihren Körpern von ihrer Umgebung abgeschnitten sind. Sie stehen, um einen Vergleich mit der Malerei anzustellen wie Tafelbilder auf Goldgrund, denn sie stehen ganz ohne Landschaft und ohne Interieur vor uns. Die Architektur im ZIF, ich nenne das hier einmal vorsichtig eine Mischung aus einer Cafeteria, einem Foyer, einem Durchgang und irgendwo vielleicht einem Ausstellungsraum, die Architektur lässt deutlich erkennen, dass diese Kunst mit ihrer Zeit nicht ohne weiteres kooperiert. Isolde Frepolis Arbeit gehört von ihrer Konstitution her eigentlich in einer Kirche oder in ein Museum, an einen Ort, an dem in erster Linie Ruhe, Unaufgeregtheit und das Pflegen von Traditionen angesagt sind. Solche Kirchen und Museen gibt es aber nur noch selten. Ich sehe in den Büsten hier im ZIF Votivbilder, wobei ich nicht weiß, wer außer ihr das Gelübde ausgegeben hat. Ich weiß auch nicht, wie es heißt. Ohne der Künstlerin zu nahe treten zu wollen, würde ich sagen, dass es um das Gelübde geht, aus jedem Dargestellten Menschen in erster Linie ein Kunstwerk, ein ewiges Kunstwerk zu machen.
Lassen sie mich zum Schluss einen allgemeinen Gedanken zum Porträt vortragen. Die reiche Geschitsschreibung zu den Porträts, die Eigenart und Würde des Dargestellten betont, hat von Jacob Burckhard bis zu John Pope- Hennessy im Bildnis eine Kulturgeschichte gesehen. Die Dargestellten haben niemals nur ihre individuellen Eigenschaften, sondern immer auch die Physiognomie ihrer jeweiligen Epoche manifestiert. Ein gutes Bildnis, ob bei Dürer oder bei Tizian, ist der sprechende Ausdruck eines Zeitalters. Diese Aufgabe hat das Bildnis in der Moderne zum großen Teil verloren. Zum einen resultiert das aus der Fotografie, zum anderen aus der überbordenden Vielfalt sich bewegender Bilder. Die Künstler selbst haben bereits seit Goya an Bildnissen gearbeitet, die ihrerseits die alte, konventionelle Statik
vermissen lassen.
Was wäre, wenn man so fragt, die „Kultur“ in den Bildnissen von Isolde Frepoli? Nach der Jahrhunderte überspannenden Dekonstruktion des Subjekts, die in der Moderne von Cézanne über Picasso bis zu den Bildnissen Warhols reicht, der sich für Porträtaufträge von unzähligen Reichen hat bezahlen lassen, steht Isolde Frepoli zufolge so etwas wie eine Zeit der idealtypischen Existenzen an. Nicht der Mensch ist weiterhin das Paradigma für die Kunst. Die Kunst, eine besonders besonnene, statische, unabänderliche Kunst, wird hier vielmehr das Paradigma für den Menschen. Wenn man Frepolis bildnerische Ansatz folgt, sind ihre porträtierten im Unterschied zu uns von Antrieben, Affekten, Temperamenten ganz zu schweigen von einem individuellen Charakter, den es früher unbedingt darzustellen galt, ziemlich frei. Die Porträtierten geraten so in einen künstlerischen Bann des Immergleichen. Sie rücken trotz ihrer Ähnlichkeit mit sich selbst unter einen ästhetischen Schleier, in dem zum Beispiel die feinen Nasenflügeln, die leicht geschürzte Lippen und die hellen Farben eine skulpturale Aura bilden, mit der man seinen ästhetischen Platz in der Welt, eine ephimere Denkmalhaftigkeit, erlangt.
So scheint es hier um einen bildnerischen Ansatz zu gehen, der das heutige Individuum einer Art griechischen Polis beiwohnen lässt. Trotz der empirischen Gesichter erscheinen mir die Köpfe von Isolde Frepoli als Teil einer noch weiter lesbaren Universalität, deren Fernziel und deren Grundlage wir heute Vormittag vielleicht nicht gänzlich ausmachen können, es sei denn, die Künstlerin gibt uns nun anschließend noch ihrer diesbezüglichen Ideen preis.
Thomas Kellein
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Martin Damus
Zu den Terrakottabüsten von Isolde Frepoli
Das Bild der Frau steht im Zentrum von Isolde Frepolis künstlerischem Schaffen, und farbig gefasste Terrakottabüsten von Frauen nehmen darin einen breiten Raum ein. In diesen gestaltet die Künstlerin ihre Vorbilder in der ihnen je eigenen Würde und Selbstbewusstheit. Das zeichnet gerade auch die Büsten von Vorbildern außereuropäischer Ethnien und uns fremder Kulturen mit ihren Bemalungen, Tätowierungen und ihrem Schmuck aus. Nie hat die Künstlerin das Bestreben, ihr Vorbild der künstlerischen Gestaltung unterzuordnen, vielmehr geht es ihr darum, der Persönlichkeit, dem je eigenen der Portraitierten Ausdruck und Form zu verleihen. Diese Kunstwollen wird auch an den Büsten von Frauen und Männern außereuropäischer Kulturen und Etnien, bei denen sie sich offensichtlich besonders für Gesichtsbemalungen, Haar- und Gesichtsschmuck interessiert, deutlich. Für mitteleuropäische Betrachter tritt hier das Fremdartige, das ethnisch und kulturell Besondere in den Vordergrund und überblendet das individuell Besondere, das man an den Portraitbüsten mitteleuropäischer Frauen ganz selbstverständlich wahrnimmt.
In ihrer Gesamtheit vermitteln die Büsten von Isolde Frepoli, die sich auf kulturell und ethnisch so unterschiedliche, geographisch weit von einander entfernte Vorbilder beziehen, das Bild eines kulturellen Universums, einen Blick auf die Welt als globales Dorf. Kulturelle und ethnische Vielfalt sind heute allgegenwärtig und ferne Länder nah dank weltumspannender Medien- und Informationssysteme, dank Globalisierung. Doch bei den Terrakottabüsten handelt es sich nicht um flüchtige Reise-oder ungreifbare Fernsehbilder, nicht um entmaterialisierte und entindividualisierte virtuelle Welten, sondern um plastisch materiale Kunstobjekte von körperlicher und ausdrucksmäßiger Unmittelbarkeit. Die Büsten blicken ihre Betrachter aus weit geöffneten Augen an bzw. durch sie hindurch. Der so lebendige wie starre Blick unterstreicht die gegenständliche Unmittelbarkeit und eigenartige Form von Lebendigkeit der sehr verschiedenartig plastisch durchgebildeten und farbig gefassten, mittels Sockeln auf „natürliche“ Höhe gebrachten, lebensgroßen Büsten.
Unmittelbarkeit und Lebendigkeit sind nicht wie bei Duan Hanson das Ergebnis einer Nachbildung, sondern einer ausgeprägt plastisch-materialen Gestaltung des Vorbildes in Ton. Ganz im Unterschied zu Hansons frappierend lebendig wirkenden Abgüssen lebender Personen mit ihrer originalen Kleidung bringt Isolde Frepoli in ihrer dem Material angemessenen und der Tradition farbiger Plastik verpflichteten Ausführung das verwendete Material, den Ton, künstlerisch zur Geltung. Dazu gehört auch, dass sie die Büsten nicht wie Abgüsse nach der Fertigstellung bemalt, sondern in der Schlussphase des Modellierens mit farbigem Ton, Engobe, arbeitet (Engoben erhalten erst durch das Brennen ihre endgültige Farbe). Das Modellieren und die Arbeit mit der Farbe fließen in einem Arbeitsprozess zusammen, Form und Farbe bilden eine unlösbare Einheit. Die Portraitbüsten der überwiegend jungen Frauen wirken auf den ersten Blick verblüffend lebendig. Die Gesichter sind bis in Details fein durchmodelliert, ihre Oberflächen wie die von Hals, Brust- und Schulteransatz geglättet. Alles, Mund, Nase, Augen, Augenbrauen usw., scheint korrekt nachgebildet zu sein, und noch der Schmuck, ein kleiner Ring in der Nase, ein andere durch die Unterlippe, tritt plastisch und farblich real in Erscheinung. Daran, dass sich Haut, Lippen, Augen, Haare, Bekleidung usw. farblich und in der plastisch-materialen Durchbildung voneinander abheben, wird die malerisch-plastische Gestaltungsweise von Isolde Frepoli deutlich. Das Plastische als solches, die „reine“ Plastik, interessiert sie nicht. Sie meidet vielmehr die Kälte der in Bearbeitung und Farbe einheitlichen „Reinheit“ der Plastik und vermittelt gerade mittels unterschiedlicher Bearbeitungstechniken, Oberflächenstrukturen und Farben den Eindruck von unterschiedlicher Stofflichkeit, von Haut, Haaren, Stoff usw.
Auf diese Weise gestaltet Isolde Frepoli ganz individualisierte, von der dargestellten Person her bestimmte Büsten. Diese haben jedoch nichts mit naturalistischen Panoptikumsfiguren zu tun, weil die Künstlerin nie das Material und seine spezifische Bearbeitung überspielt. Immer bleibt sichtbar, dass es sich um Ton handelt, auch daran, dass und wie sie den Eindruck von unterschiedlicher Stofflichkeit mittels unterschiedlicher Oberflächenstrukturen und Bearbeitungsweisen erzielt. Immer kommt die materiale Beschaffenheit der Portraitbüsten darin zur Geltung, dass ihr Entstehen und Herauswachsen aus der formlosen Masse des bildsamen Tons nachvollziehbar bleibt.
So hat Isolde Frepoli bei „Joki“, „Franzisca“ u.a. den sichtbaren Teil des Kleides grob modelliert und nicht die Oberfläche, die Struktur des Kleidungsstückes malerisch-plastisch herausgearbeitet. Bei anderen Büsten (z.B. „Renée“) gehen fein modellierte, weitgehend geglättete Gesichts‑, Kopf- und Körperformen nach unten zu unmerklich über in eine grobe, die Materialität des Tons hervorhebende, form-unbestimmte Gestaltung bzw. in die grobe Form und raue Oberfläche des stützenden Sockels (u.a.„Verona“ und „Ann-Marie“) oder aber brechen buchstäblich ab und legen den grob modellierten, architektonisch gegliederten Sockel bloß (u.a. „Pinar“). Die plastisch amorphe Masse des feuchten Tons regt die Künstlerin zu einer Gestaltung und Arbeitsweise an, bei der die Grenze zwischen dem Ungeformten und dem gegenständlich Durchgeformten fließend ist oder aber gerade als Bruchstelle sichtbar gemacht wird.
An den Büsten von Menschen außereuropäischer Kulturen scheint das individuell Persönliche hinter das kulturell bzw. ethnisch Besondere zurückzutreten. Das bewirkt allein schon das Andersartige von Hautfarbe, Gesichtsform, Nase usw., noch ausgeprägter eine Gesichtsbemalung oder ein Kopf und Gesicht überformender Schmuck. Der Blick von Europäern auf diese Büsten und ihre Vorbilder ist getrübt. Aufgrund ihrer Andersartigkeit, insbesondere des in den Vordergrund tretenden Kopf- oder Haarschmucks, der Bemalung oder Tätowierung, die auf Isolde Frepoli eine große Anziehungskraft ausüben, vermögen sie an deren Gesichtern das individuell Besondere, das Persönliche nicht oder nur mit Mühe zu erkennen.
In den modernen Industriegesellschaften passen sich die Frauen Schmuck, Frisur und Make-up – von der Mode abhängig – individuell an. Der Schmuck, der Kopfputz und die Bemalung der Menschen, die Isolde Frepoli als Vorbilder für ihre Büsten ausgewählt hat, sind demgegenüber kulturell und rituell bedingt, stammesabhängig und standesgemäß. Das macht das oft Maskenhafte, von der betreffenden Person als Individuum Unabhängige von Schmuck und Bemalung aus. Auch deswegen wird von Betrachtern, die mit den ethnischen Besonderheiten und der Kultur der Menschen nicht vertraut sind, nur das Fremdartige und dies oft auch noch als Deformation wahrgenommen.
Wer es nicht bei der bloßen Zur-Kenntnis-Nahme dieser Büsten belässt, entdeckt auch an ihnen das Individuelle und Persönliche, das von der kulturell und rituell geprägten, stammesabhängigen und standesgemäßen Schmückung nur überlagert wird. Persönlichkeit und Individualität entfalten sich auch im Rahmen einer verbindlichen Kultur, Ordnung, Gemeinschaft. Dieses spannungsreiche Zusammenspiel von Individualität und Persönlichkeit auf der einen und vorgegebenen Strukturen und Rollen, die hier in Bemalung und Schmuck ihren Niederschlag finden, auf der anderen Seite bringt die Künstlerin in den Terrakottabüsten von Menschen außereuropäischer Kulturen und Ethnien zur Anschauung und zum Ausdruck.
Das gelingt ihr, weil sie diese nicht als anonyme Träger von Bemalung und Schmuck, nicht als charakteristische Beispiele für eine Ethnie, eine Kultur oder einen Brauch abformt. Sie macht sich vielmehr von ihnen, nicht anders als bei der Arbeit an Portraitbüsten von Menschen, die sie persönlich kennt, ein Bild. Auf dieses Bild von dem Menschen lässt sie sich ganz ein und verleiht ihm in der Terrakottabüste seine ihm je eigenen Züge. Damit sind die individuelle Würde und die Selbstbewusstheit der Vorbilder von Isolde Frepoli, von Bemalung, Tätowierung, Schmuck lediglich überspielt, immer präsent.